Kaum in der 1.000-Seelengemeinde angekommen starten wir auch schon mit der einzigen Busverbindung nach Urique. Urique liegt ca. 1.050 Meter tiefer im Tal und ich habe bereits über die beeindruckende Fahrt gelesen (40 km in 3,5 Std!?). Trotzdem bin ich nach den ersten 15 Kilometern fast etwas enttäuscht. Zwar wackelt der kleine Bus nach links und rechts, die Straße staubt ohne Ende, aber alles vertretbar. Zwei weitere Aussichtspunkte lassen uns nochmals einen unglaublichen Blick in die Schlucht werfen.
Dann wird die staubige Weg enger und wir beginnen die eigentliche Anfahrt ins Tal. Die Straße ist jetzt eine Schotterpiste und schlängelt sich in Serpentinen, immer wieder nur ein paar Handbreit vom Abhang, den Berg hinab. Aus der Ferne sieht die Strecke aus, als ob sich eine Schlange über den Berg ins Tal bewegt. Ich sitze auf der „richtigen“ Seite, gleich hinter dem Fahrer, und kann die meiste Zeit der Fahrt nach unten blicken. Hier gibt es keine Leitplanke. Der Bus knirscht und ächzt den Berg hinunter. Gegenverkehr kann höchstens in einer Kurve überhohlen. Besser ist, es kommt nichts. Nicht nur hier einen Bus zu fahren, auch diese Strecke zu bauen und in standzuhalten ist eine unglaubliche Leistung. Jetzt setzt auch noch die Abenddämmerung ein und taucht die gegenüberliegenden Berge in ein herrliches rot-blaues Licht. Das Scheinwerferlicht schlackert rauf und runter. Fotografieren gerät ebenfalls zu einer anderen Sportart. Zwischen anvisieren, wackeln nach links, rechts, oben und unten ist es eher Glückssache einen geeigneten Schnappschuss zu ergattern.
Als es dann endgültig dunkel ist, erreichen wir fast bei Vollmond das kleine Örtchen Urique. Zum unserem Glück haben drei andere Mitfahrer das gleiche Quartier, wir schließen uns gleich an und werden alle zusammen mit dem Bus noch schnell zur Unterkunft gefahren. Der Kommentar des verwunderten Fahrers „Entre Amigos? 5 Personen?!?“ Sagt viel über das allgemeine Touristenaufkommen im Ort aus. („Entre Amigos“ ist der Name der Unterkunft.) Urique also. 1.600 Einwohner. Die Schlucht, die Stadt, der Fluss, man hat gleich alles Urique genannt und es ist zugleich der tiefste Canyon in Nordamerika! Die Anlage liegt ein paar hundert Meter außerhalb der eigentlichen Ortschaft. Der Mexikaner (wo auch immer er auf einmal herkam), welcher uns das Gartentor geöffnet hat, gibt uns dann einen Schlüssel. Name? Bezahlen? Alles später… mexikanische Gelassenheit. Wir beziehen ein eigenes kleines Häuschen mit 5 Feldbetten. Niemand sonst da. Licht gibt’s im Zimmer aber zumindest.
Am nächsten Morgen erkunden wir erstmal unsere Umgebung bei Tageslicht und diese entpuppt sich als kleiner Wundergarten. Als erstes fallen uns die 4-5 Meter hohen Kakteen auf. Unglaublich… und am Vorabend nur als Schatten in der Dunkelheit erkennbar. Weiter geht’s mit Beeten mit Salat, Kohl, Rüben, Zwiebeln aber auch Grapefruit-, Litschi-, Zitronenbäume gibt es und, und, und. Die Zitronen sind reif, farblich schon Orange und unwahrscheinlich saftig. Das Beste, jeder Gast darf sich nach Herzenslust bedienen. Gegenüber unseres steinernen Häuschens gibt es eine große Küche, ein Steinhütte weiter eine Toilette, an den Fensteraussparungen nur ein paar im Wind wehende Gardinen. Auch die Dusche hat ein eigenes kleines Häuschen. Kein Licht. Das Wasser wird noch klassisch mit einem Holzfeuer und darüber liegendem Wassertank erwärmt. Im Örtchen gibt es ein paar kleine Lädchen für das nötigste. “Back to the roots”… hier entspannen wir mal einen Tag lang. Was sonst soll man auch machen bei über 30° Gluthitze? Die Einheimischen halten es ähnlich… Also, erstmal gut essen, kühle Getränke und natürlich relaxen.
Ansonsten sind scheinbar viele in dieser Gegend nebenberuflich im Ackerbau aktiv, was die vielen neuen Trucks der Einwohner in der ganzen Gemeinde erklärt (bei Ackerbau im einsamen, mexikanischen Hinterland handelt es sich natürlich seltenst um Kohl und Zitrusfrüchte, sondern mehr um Marihuanaplangen o.A.). Aber leben und leben lassen.
„Rarámuri” bedeutet ubrigends „die Schnelllläufer”. Traditioneller Weise jagten die Rarámuri Hirsche, indem sie diese hetzten und über Klippen in Fallen trieben. Jetzt veranstallten Sie jedes Jahr einen Ultramarathon. Den Copper Canyon Ultra Marathon. Knapp 80 bergige Kilometer durch die mexikanische Hitze, die Rarámuri mit in Form geschnittenen Autoreifen als Schuhe und in einheimischer Tracht gegen ausländische Ultramarathon-Profis aus aller Welt. Meist siegen die Rarámuri…
Jeder der das Rennen beendet, bekommt 500 Pfund Mais. Da trotz allem in dieser Region viele Menschen noch Hunger leiden müssen, spenden die ausländischen Teilnehmer dies natürlich.
Abends schlendern wir nochmal durch den kleinen Ort und landen prompt in einer Veranstaltung mit lauter, mexikanischer Musik. Nach längerer Beobachtung konnten wir diese als Hochzeitsfeier identifizieren. Die Feier hören wir noch die ganze Nacht durch das Tal schallen.
Tags drauf verlassen wir Urique auch schon wieder. Diesmal geht es die steile Schotterpiste hinauf und wir genießen nochmals den atemberaubenden Blick in und durch das Tal.
Der Zug kommt und wir setzen zum letzten Teilstück an. Es ist landschaftlich das Imposanteste der gesamten Bahnfahrt. Wir fahren unten, in den Tälern durch die Canyons. Immer wieder geht es durch kurze und längere Tunnel. Nach jedem bietet sich eine neue Landschaft in der späten Nachmittagssonne und wieder verbringen wir nur wenig Zeit auf den eigentlichen Sitzplätzen. Wir genießen die Zugfahrt unter freiem Himmel und bis zum Sonnenuntergang in welchem wir das eigentliche Fluss Delta erreichen. Eine riesige Fläche, welche von allen großen Flüssen des Tals gespeist wird. Trotz der Trockenzeit gibt es hier einiges an Wasser und die farbliche Abstufung am Ufer lassen erahnen, welche gewaltigen Mengen der See in der Regenzeit fasst. Zu guter Letzt verabschiedet sich die Sonne noch mit einem wunderbar rot leuchtenden Untergang hinter den Bergen.
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