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Unfreiwillige Abenteuer

Eigentlich sollte San Agustín unser letzter Aufenthalt in Kolumbien sein. Aber hey wir sind in Südamerika .. eigentlich ist einfach eigentlich .. und so gibt es noch zwei unfreiwillige Aufenthalte mit grandiosen Geschichten.

Im Reiseführer stoßen wir auf „die Dschungelroute nach Ecuador“. Hört sich total spannend an und erspart uns einen Flug. Da wir in Kolumbien ohnehin schon so viel geflogen sind freuen wir uns auf entspannende schöne Busfahrten. Wir machen uns also auf nach Mocoa. Als wir abreisen meint die nette Einheimische im Hostel noch: „Es geht nach Süden? – Da soll Streik sein. Ich weiß aber nicht genau wo und wann. Versucht es einfach.“

Mit diesen Worten und dem Gedanken, dass San Agustín ja nur eine kleine Stadt weit abgelegen in Kolumbien ist, machen wir uns auf den Weg.

Die Busfahrt von San Agustín nach Mocoa verläuft ruhig und wir wiegen uns in Sicherheit. Eine Nacht verbringen wir uns Mocoa – es ist spät geworden. Am nächsten Tag geht es über das „Trapez des Todes“ nach Pasto.

Früh morgens am Busterminal in Mocoa angekommen, schreien alle Einheimischen durcheinander „Pasto“, „Pasto“ .. wir suchen uns den am sichersten aussehenden Jeep aus. Ja, wir wollen bitte innen sitzen und nicht auf der Ladefläche im Regen über das Trapez des Todes hoppern.

Das Trapez des Todes .. wiedermal siegt Neugier über Vernunft .. ist eine spektakuläre Straße durchs Gebirge in Kolumbien. 6 Stunden Nervenkitzel. Mocoa liegt am Rande des Amazonas Dschungels, also kann man sich das Klima annähernd vorstellen – schwülwarm. Die einspurige Holperpiste schlängelt sich um Haarnadelkurven den Berg nach oben. Es ist keine befestigte Straße – vielmehr besteht sie aus Matsch und tennisballgroßen losen Steinen. Manchmal hoppert das Auto so stark, dass mein Kopf dem Dach gefährlich nahe kommt. Eine Leitplanke gibt es – stellenweise. Oft ist sie vom letzten Bergrutsch mitgerissen und behelfsmäßig durch Plastik- Absperrband ersetzt. Oft gibt es einfach gar keine. Uns kommen Lkw, andere Busse und sonstige Gefährte entgegen, denen man durch rückwärtsfahren und halsbrecherischen Manövern ausweicht. Rechts neben uns geht es 400 Meter in die Tiefe.

Ich glaube so stellen sich die meisten Leute Kolumbien vor. Dschungel, Matschstraßen und unten im Tal illegale Drogenplantagen.

Zum Glück oder besser gesagt leider kriegen wir nicht allzuviel mit. Es ist neblig, was natürlich die Sicht des Fahrers und unser Gefühl nicht besser macht. Nach 6 Stunden Nervenkitzel und eingeklemmt zwischen Einheimischen in einem Jeep kommen wir gut in Pasto an. Durchatmen konnte keiner und unsere Rucksäcke sind völlig durchnässt. Die windige Plane über dem Gepäck kann der Dschungelfeuchtigkeit nichts anhaben. Die kriecht einfach überall hin.

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Wer jetzt denkt, das war’s – der irrt und kann sich entspannt im Fernsehsessel zurücklehnen, denn es geht erst los!

In Pasto am Busterminal werden wir mit zuckenden Achseln empfangen. Ecuador? Grenze? Nein, da ist doch Streik – da geht NADA – garnichts!! Wie da geht garnichts?!? Naja heute nicht. Vielleicht morgen. Vielleicht – auch so ein beliebtes Wort in Südamerika.

Was tun?? Zurückfahren?? Nein, bitte nicht nochmal 6 Stunden. Und wo dann hin?? Wir wollen ja nach Süden und nicht nach Norden. Nach kurzer erfolgloser Recherche im Internet ergeben wir uns unserem Schicksal und suchen uns ein Hotel.

Vor dem Busterminal geraten wir natürlich prompt in die Hände der sogenannten Schlepper. Wenn der Wurm drin ist, dann richtig. Schlepper verschaffen einem Taxis, Hotels, Ausflüge – was immer man braucht – oder auch nicht. Natürlich für Geld.

Der Schlepper begleitet uns in ein zwielichtiges Hotel gleich neben dem Busbahnhof. Wir werden ihn nicht los! Eigentlich ganz praktisch, denn wir wollen sofort morgen früh weiter. Dort weist man uns ein Zimmer zu – klein und hässlich. Der Typ an der Rezeption kann nichts weiter sagen als „50 Pesos“. Wir fragen nach Handtüchern – Antwort: „50 Pesos“. Wir fragen nochmal – Antwort: „50 Pesos“. Sag mal red ich chinesisch?!? Ok unser Spanisch lässt manchmal zu wünschen übrig aber für einen Small- Talk an der Hotel Rezeption reicht es allemal!

Das ist uns zu blöd! Vor uns der Typ mit seinen 50 Pesos und hinter uns der Schlepper der die Hand bereits nach seiner Provision aufhält.

Wir flüchten. Auf die Straße – ins nächste Taxi ab in die Innenstadt.

Man muss damit rechnen, dass der Schlepper nachts allein oder mit einer ganzen Bande das Zimmer ausräumt oder sonst was anstellt. Wir versuchen es so gut es geht zu vermeiden, dass Leute wissen wo wir schlafen – geschweigendem in welchem Zimmer! Wir hätten ihn also gut bezahlen müssen um eine ruhige Nacht zu haben. Davon halten wir wenig und von einem Hotel Typ, der nur Geld will halten wir noch weniger.

In der Innenstadt finden wir ein akzeptables Hostel und sinken erstmal entmutigt ins Bett. Irgendwie zu viel für einen Tag.

Am nächsten Morgen fragen wir gleich den Hostelbetreiber ob er für uns beim Busterminal anrufen kann. Wir wollen nach Ecuador und vielleicht sind die Straßen heute offen. Er hat leider keine Neuigkeiten für uns. Keine guten und keine schlechten. Die Straße ist nach wir vor dicht und keiner weiß wie es weitergeht. Angeblich versucht die Regierung zu schlichten. Naja in Kolumbien kann das länger dauern. Und doch bleibt ein kleiner Hoffnungsschimmer, denn die gesperrte Straße ist die Panamericana! All der Durchgangsverkehr von Nord- nach Südamerika hängt fest. Das kann der kolumbianischen Regierung nicht ganz egal sein und eigentlich müsste doch die ganze Welt hinschauen?!? Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Gut, was sind schon 2 Tage?!? Wir versuchen das Beste draus zu machen. Ein gutes Frühstück und dann zu einer nahe gelegenen Lagune mitten in schöner Natur. So der Plan.

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Als wir vom Frühstück wiederkommen treffen wir ein ebenfalls gestrandetes Pärchen. Sie sitzt bedrückt in der Ecke – wir kommen ins Gespräch. Die beiden waren in Mocoa – unserer letzten Station – in der Umgebung mit schönen Wasserfällen unterwegs .. und sind ausgeraubt worden. Rucksack, Geld, Foto .. alles weg!

Es dauert etwas bis wir die Zusammenhänge verstehen. Aber klar, die Polizisten sind alle beim Streik, der sich mittlerweile auf ganz Kolumbien ausgeweitet hat. Keiner hat Zeit sich um die Touristen zu kümmern und die Banden wissen das.

Mittlerweile ist die Verbindung nach Ecuador gesperrt, die Verbindung von Cartagena in die Hauptstadt nach Bogotá, viele viele Straßen um Bogotá herum und sogar die Zufahrt von Bogotá zum internationalen Flughafen. Alles dicht und bereits ein Toter.

Wer streikt denn eigentlich?!? Eigentlich – ein schönes Wort – streiken die Kaffeebauern. Eigentlich! Angeschlossen haben sich mittlerweile die Reisbauern, die Lkw- Fahrer und um die Hauptstadt herum zahlreiche Studentengruppen. Alle nehmen ihre Chance wahr gehört zu werden – ein Pulverfass.

Unser Ausflug zur Lagune ist gestorben. Wir bleiben in der Stadt – die meiste Zeit im Hostel und versuchen einen Ausweg zu finden. Fliegen von Pasto aus ist unbezahlbar. Die sinnvollen Flüge sind ausgebucht. Man kann noch über Peru nach Ecuador fliegen in 20 Stunden für den Preis eines ganzen Urlaubs! Zur Erinnerung – wir sind 80 Kilometer von der Grenze entfernt.

Es gibt noch einen zweiten Grenzübergang nach Ecuador. Auch diese Möglichkeit diskutieren wir mit ein paar Australiern. Das Hostel füllt sich langsam. Dieser ist 6 Busstunden von uns entfernt und gilt als gefährlichster Südamerikas. Auch keine Option wenn die Polizei keine Zeit hat!

Mittlerweile hat sich auch das deutsche Auswärtige Amt zur Situation in Kolumbien geäußert:

„Derzeit finden landesweite Streiks einiger indigener Berufsgruppen, unter anderem der Kaffeebauern und Lkw-Fahrer, statt. Es kann zu Blockaden und gewaltsamen Ausschreitungen kommen. Bei Überlandfahrten können daher Behinderungen im Straßenverkehr auftreten.“

BEHINDERUNGEN IM STRASSENVERKEHR ist wohl eher ein schlechter Witz!! Kolumbien steht still!! Typisch auswärtiges Amt .. man fragt sich manchmal ob die schonmal außerhalb ihres Gartens unterwegs waren!

Der Tag plätschert so dahin. Wir versuchen an der hässlichen 400.000 Einwohner Stadt irgendetwas Schönes zu finden. Aber wenn man unfreiwillig festhängt und die Situation eher schlechter als besser wird, findet man schwer etwas Schönes. Als auf dem Hauptplatz die ersten Demonstrationen stattfinden, verliere ich ganz die Lust und verkrieche mich in mein Bett.

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Der Abend bringt jedoch noch eine neue Idee ins Spiel. Die ganze Zeit schon haben wir versucht herauszufinden wo genau die Straße gesperrt ist. Kurz hinter Pasto oder kurz vor der Grenze. Dazwischen liegen lächerliche 80 Kilometer die uns von Ecuador entfernen. Die Option „einfach“ durch den Streik zu laufen und danach weiterzufahren schwebt eigentlich schon seit längerem über uns. Bis jetzt haben wir es uns nicht getraut. Die Bilder im Fernsehen von Tränengaswerfern und Polizisten mit Schutzschilden hielten uns davon ab.

Daniel ist noch wach uns sucht nach einer Lösung. Eine Hostelangestellte gibt uns die Adresse einer Tankstelle in Pasto. Wir sollen früh morgens dort warten, vielleicht nimmt uns jemand mit durch den Streik. Lange überlegen wir hin und her. Aber wir wollen weg – bevor das Fass überläuft.

Früh morgens also geht es los zu dieser Tankstelle. Es ist 6 Uhr und wir stehen bereit. Nichts. Wir warten. Nichts. Wir frieren. Nichts. Irgendwann kommt der Tankwart raus und schickt uns ein paar Straßen weiter.

Dort warten wir wieder. Fragen uns bei den Einheimischen durch. Bus? Ecuador? NADA – NICHTS!! Wir scheinen aber zumindest an der Straße zur Grenze zu stehen – vielleicht geht ja doch was. In Südamerika braucht man etwas Geduld.

Plötzlich halten 2 Motorräder und bieten uns an, uns zu dem Streik zu fahren. Wir zögern und steigen auf. Keine 3 Kilometer geht es noch voran dann liegt quer über der Straße eine Betonrolle. Der Streik ist also direkt hinter Pasto – soviel Gewissheit haben wir jetzt. Mit einer Handbewegung macht uns der Fahrer klar .. weiterlaufen!

Wir steigen mit all unserem Gepäck also über diese Betonrolle. Überall Polizei mit Schutzschilden und Maschinengewehren. An den Straßenrändern und auf der Straße sieht man brennende Haufe irgendwas – würde mich nicht wundern, wenn das eine oder andere ein Gummireifen ist. Steine liegen herum – offensichtlich als Wurfgeschoss benutzt.

Wir laufen .. mir ist schlecht aber wir laufen. Was sollen wir jetzt auch anderes tun?!?

Einer der Kaffeebauern kommt aus seinem Zelt herausgeschossen und lädt und auf einen Kaffee ein – der einzige lustige Moment.

Da es 6 Uhr morgens ist, ist noch nicht viel los. Zum Glück. Wir sind nicht die einzigen die durch den Streik laufen – aber die einzigen mit jeweils 20 Kilo Gepäck. Logischerweise wohnen im Streikgebiet Leute die einfach nach Hause gehen.

Wir laufen, versuchen uns an zwei Polizisten zu hängen. Mit wenig Erfolg – so schnell sind wir mit Gepäck leider nicht.

Hier hinter der Absperrung ist nichts! Nichts! Keine Auto – keine anderen Motorräder wie erhofft – nichts. Wir fragen den Polizisten ob es sicher ist hier zu sein – die Antwort „un poco“ – ein bisschen. Wir wissen bereits, dass es nicht nur eine Straßensperre ist sondern 7! Was wir nicht wissen, ist wie weit diese voneinander entfernt sind.

Es folgt ein Schild mit Grenze in 74 Kilometern und ich breche in Tränen aus! Das ist zuviel. Ich will weg hier weg weg weg und weg aus Kolumbien!

Wir drehen also um – viel zu gefährlich und unberechenbar.

Auf dem Rückweg kommen uns mehr Polizisten – ganze Busse – mit Schutzschilden und Maschinengewehren entgegen. Anscheinend geht es demnächst los – wenn die Kaffeebauern ihren Kaffee getrunken haben. Wir sind froh das raus zu sein!

Zurück im Hostel und fertig mit der Reisewelt meint der Hostelmann, dass Busse von Pasto nach Cali fahren. Heute! Keiner weiß wie lange und keiner weiß wieviele! Aber die Straße dorthin ist kurz offen .. wenn wir mitfahren wollen, müssen wir uns beeilen.

Cali ist eine große Stadt 10 Busstunden von Pasto entfernt – Richtung Norden. Also wieder mitten rein nach Kolumbien. Wir zögern. Was sollen wir da?!? Jetzt sind wir doch hier 80 Kilometer vor der Grenze. Was sollen wir tun?!? Warten? Fahren? Ist die Straße morgen vielleicht offen?

ABER Cali hat einen großen Flughafen. Und tatsächlich für den nächsten Tag gibt es bezahlbare Flüge nach Ecuador! Wir buchen natürlich sofort und machen uns auf den Weg zum Busterminal. Dort schreit man uns auch gleich entgegen „Cali“, „Cali“ – klar fährt ja auch sonst nichts. Wir zahlen das Ticket und setzen uns in den Bus.

Wir sitzen – hier kriegt uns keiner mehr raus – wir wollen weg!

Es fahren 5 Busse nach Cali im Konvoi mit Polizeieskorte. Ein großes Polizeifahrzeug vornweg um die Lage zu checken, 6 Polizeimotorräder vor, hinter und zwischen den Bussen. Doch gefährlich?!?

Die Straße gleicht einer Geisterstraße. Der alt bekannte Verkehr in Kolumbien ist verschwunden! Außer ein paar Hunden entdecken wir nichts. Keine Autos, keine Menschen. Wo wird uns die Fahrt hinführen? Werden wir ankommen? Grusselig!!

Schlafen ist Fehlanzeige – wir sind viel zu aufgeregt.

Viel sehen wir nicht bis auf viele Polizisten und viel Militär. Unter anderem 2 schwarze Kästen auf Rädern (panzerähnlich) mit Brenn- und Schlagspuren außen. Ich vermute darin werden die Polizisten in die Demonstrationen gefahren – noch grusseliger!!

Nach 14 Stunden große Erleichterung für die rund 250 Passagiere. Wir sind raus! Alles ist gut gegangen – wir suchen uns ein Hostel in Cali.

Cali ist schön – eine richtig gepflegte große Stadt. Wir lassen den Abend oder besser gesagt die Nacht in einem Park um die Ecke vom Hostel ausklingen. Hier trifft sich die Jugend auf einem Hügel mit Blick über die Stadt zu einem Bierchen.

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Vergessen sind die letzten Tage – nicht ganz – erst wenn wir in Ecuador landen. Noch bleibt die Angst, dass die Straße zum Flughafen morgen gesperrt ist. Diese Nacht schlafen wir dennoch etwas besser.

Wir verbringen noch einen schönen Tag in Cali bis unser Flug geht. Alles geht gut – wir landen in Quito der Hauptstadt von Ecuador ..

.. Durchschnaufen ..

Natürlich verfolgen wir die Nachrichten aus Kolumbien weiterhin. Ein paar Tage später haben die Demonstrationen den Grenzübergang nach Ecuador gesperrt. Der Streik geht noch ca. 3 Wochen weiter!

 

Kolumbien – Guerilla, Drogenschmuggel, soziale Probleme, Steinfiguren, unberührte Natur und Traumstrände .. einfach unberechenbar.

Kolumbien ist wunderschön und es bringt uns an den Rand des Reisewahnsinns. Dieses Land hat uns alles an Erfahrung abverlangt, die wir bisher gesammelt hatten. Es hat uns Geschichten geschenkt, die sich in unser Herz gebrannt haben. Kolumbien hat uns Wunder gezeigt, von denen wir nichtmal wussten, dass es sie gibt und Abenteuer, von denen wir nicht wussten ob und wie wir sie bestehen können.

Die guten Menschen sagen, man soll mit offenem Herzen reisen, auch wenn es dann ein Leichtes ist, verwundet zu werden. Aber Wunden und Wunder liegen nah beieinander und manchmal kann man die Beiden von weitem zunächst gar nicht unterscheiden.

Kolumbien wir haben Dich dennoch lieben gelernt und kommen gerne wieder!

 

Kolumbien: Stempel im Reisepass 31.07.-24.08.2013

By Janine on November 1, 2013

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